News aus 2021

Industriewende: Kalk für den Klimaschutz

Philip Nuyken bezieht unseren Standpunkt zum Klimaschutz in der Kalkindustrie im Tagesspiegel Background, Energie und Klima.

 

Nicht alle Industriezweige lassen sich dekarbonisieren – in der Kalkbranche entsteht rohstoffbedingt CO2. Daher braucht es die Möglichkeit, Kohlenstoffdioxid abzuscheiden und zu speichern, schreibt Philip Nuyken vom Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie. Dies sei eine wichtige Aufgabe für die neue Bundesregierung.

Die G20-Staats- und Regierungschefs wollen die Begrenzung der globalen Erderwärmung auf 1,5 Grad in Reichweite halten. Doch jetzt kommt der schwierige Teil, denn es muss sich auch die Erkenntnis durchsetzen, dass jede Technologie, die Emissionen kurzfristig mindert und langfristig zu Klimaneutralität beiträgt, volle politische Unterstützung bei der Umsetzung braucht. Es muss das Prinzip „sowohl als auch statt entweder oder“ gelten. Das wird nicht allen gefallen. Muss es auch nicht, denn die gesteckten Ziele lassen kein Rosinenpicken zu. 

Um es konkret zu machen: Windenergie muss überall dort ausgebaut werden, wo sie energetisch einen positiven Nutzen bringt – im Norden und im Süden. Stromtrassen sind eine gesellschaftliche Notwendigkeit und dürfen daher nicht durch endlose politische und juristische Verfahren aufgehalten werden – not in my backyard kann es nicht mehr geben. Die Frage des „ob“ stellt sich dementsprechend auch bei sogenannten Entnahme- oder Carbon-Capture Technologien (CC Technologien) nicht mehr. Die erforderlichen Technologien zur CO2-Speicherung sind bereits entwickelt und befinden sich weltweit seit vielen Jahren im Einsatz. Hier darf sich Deutschland nicht länger wegducken. Auf europäischer Ebene, unter anderem in den Niederlanden, Großbritannien und Skandinavien, werden derzeit weitere Projekte geplant und befinden sich zum Teil bereits in der Umsetzung.

Warum aber muss für Klimaschutz CO2 überhaupt aufgefangen werden? Man könnte es ja auch direkt vermeiden. In einigen Grundstoffindustrien entstehen chemisch nicht vermeidbare Prozessemissionen. So kommen in der Kalkindustrie zwei Drittel der Treibhausgasemissionen aus dem Rohmaterial, dem Kalkstein, und können chemisch nicht vermieden werden. Unter Einsatz von Temperaturen zwischen 900 und 1600 Grad Celsius trennt sich das CO2 vom Kalkstein (CaCO3), sodass Branntkalk (CaO) und CO2 entstehen. Als wichtiger Rohstoff für unter anderem die Wasserreinigung, die Medikamentenherstellung oder die (grüne) Stahlproduktion ist die Herausforderung, die Kalkproduktion klimaneutral zu machen, zentral.

CO2-Speicherung ist seit Jahrzehnten erprobt

Nehmen wir uns einen Moment Zeit und machen wir etwas Neues: Entwickeln wir eine positive Vision mit ökonomischen und ökologischen Chancen. Wie bekommen wir eine Industrieproduktion klimaneutral, welche die Gesellschaft auf der einen Seite braucht, aber die auf der anderen Seite immer CO2 hervorbringen wird?

Zunächst sei vorangestellt, dass dort, wo CO2-Ausstoß vermieden werden kann, dies auch die erste Wahl ist – Stichwort Energieträgerwechsel. Kann das Entstehen von CO2 in vereinzelten industriellen Prozessen oder der Landwirtschaft aber nicht vermieden werden, dann gilt es, das CO2 am Eintritt in die Atmosphäre zu hindern – nennen wir es „Auffangen“. In der Industrie ist das möglich, in der Landwirtschaft eher nicht. Das aufgefangene CO2 kann anschließend in einer Kreislaufwirtschaft „recycelt“ werden (CCU) oder an einen Speicherort gebracht werden (CCS). In beiden Fällen gilt das Prinzip von Sicherheit und Permanenz.

Das dies möglich ist, zeigen Projekte skandinavischer Länder, die bereits seit den 90er Jahren laufen. Die Technologie hat damit bereits eine lange Testphase hinter sich. Das Monitoring der Speicher muss dabei selbstverständlich transparent und nachvollziehbar erfolgen. Grundsätzlich ist sie aber einsatzbereit – eine gute Nachricht für das Klima, denn so können auch chemisch nicht vermeidbare Emissionen keinen Schaden mehr anrichten.

Ein doppelter klimapositiver Beitrag ist möglich

Gehen wir in unserer Gedankenwelt einen Schritt weiter. Die Emissionen des Kalksteins tragen nicht weiter zum Klimawandel bei, da wir sie aufgefangen und durch unsere CC-Technologie am Eintritt in die Atmosphäre gehindert haben. Es bleiben die energetischen Emissionen aus der Nutzung von Brennstoffen. Der Einsatz strombetriebener Öfen ist aktuell noch keine Lösung, da sie bislang noch nicht die notwendige hohe Qualität für Umweltschutzmaßnahmen sowie für medizinische oder industrielle Produkte sicherstellen.

Kommen in der Kalkindustrie CC-Technologien zum Einsatz, dann liegt der Gedanke nahe, den Empfehlungen des Weltklimarates zu folgen und nachhaltige biogene Brennstoffe einzusetzen. Dessen Einsatz ist nicht nur klimaneutral, sondern führt in Kombination mit CC-Technologien dazu, dass der Atmosphäre mehr CO2 entzogen als emittiert wird. Damit wird aus einer emissionsintensiven Branche eine klimapositive Industrie.

Kommen wir zu Schritt drei: Der besonderen Eigenschaft von Kalkprodukten. Diese nehmen in kurzer Zeit signifikante Mengen an CO2 auf – der Branntkalk (CaO) holt sich sein verlorenes CO2 sozusagen wieder. Schon innerhalb eines Jahres entzieht er der Atmosphäre etwa ein Drittel der bei seiner Herstellung freigesetzten Prozessemissionen – dies nennt man Karbonatisierung. Rechnet man alles zusammen, so ergeben sich Nullemissionen bei der Produktion sowie ein doppelter klimapositiver Beitrag durch die Speicherung des natürlichen Biomasse-CO2 und der Wiederaufnahmefähigkeit der Kalkprodukte. Anstatt mittlerer einstelliger Megatonnen an CO2 auszustoßen könnte allein die Kalkindustrie in Deutschland der Atmosphäre einen unteren einstelligen Megatonnenbetrag an CO2 entnehmen.

Aufgabe für die neue Bundesregierung

Damit diese Vision Realität wird, ist auch die Bundesregierung gefragt. Notwendig sind eine CO2-Strategie und ein regulatorischer Rahmen für industrielle Projekte zum Auffangen von CO2, dem Transport und der Speicherung. Angelehnt an die Wasserstoffinfrastruktur braucht es in kleinerem Maßstab auch eine CO2-Infrastruktur. Nach der Entwicklung industrieller Anlagentechnik können Klimaschutzverträge für CC-Technologien das noch teurere Verfahren marktfähig machen. Untersuchungen renommierter deutscher Organisationen wie Agora, BDI, dena, PIK und weiteren zeigen auf, wo und in welchem Umfang ein Einsatz notwendig ist.

Ich bin überzeugt, Deutschland braucht mehr solch positiver Visionen. Packen wir sie an und setzen sie in die Tat um. Möglich ist es! Die Wirtschaft setzt auch auf die Unterstützung der Klimaschützer:innen. Warten können wir uns nicht leisten. Klimaschutz ist zwar nicht alles, aber ohne den Schutz unseres Klimas ist alles nichts.

 

Der Artikel erschien im Tagesspiegel Background Energie und Klima.